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Foto: Alfius

Making of "WM-Spezial"

Was wäre eine Reportage ohne Making of?

Im großen Stil, bei einem Film oder einer aufwändigen Fernsehproduktion ist eine solche wohl nachvollziehbar - aber bei einer vorwiegend als Hobby betriebenen Fotoreportage über Frankfurt während der WM? Das mag auf manch einen vielleicht etwas großspurig wirken. Ein echter Frankfurter würde jetzt zum Besten geben: "Kerle, was is der großkotzisch!". Ich habe mich für ein Making of "frankfurtblick :: WM-Spezial" entschieden, weil ich vielfach per Mail gefragt worden bin, wie ich das alles überhaupt gemacht, wie ich es bewältigt habe und wie mein Tagesablauf überhaupt ausgesehen hat. Darüber hinaus möchte ich bei dieser Gelegenheit jene Geschichten erzählen, zu deren textueller Darstellung ich während der WM keine Zeit fand, auch wenn ich nur einen Bruchteil der Erlebnisse und Eindrücke wiedergeben kann, deren vollständige textuelle Aufbereitung ein ganzes Buch füllen könnte. Das wäre dann doch zuviel des Guten. Im folgenden also eine kleine Aufklärung und die Beantwortung der an mich gerichteten Fragen.

Meine WM-Reportage war nicht von langer Hand geplant ...

... und hat mich quasi "eiskalt" erwischt. Bildet sie doch ein Kapitel unter vielen von frankfurtblick, meiner Fotoreportage über Frankfurt, die sich über den Zeitraum eines Jahres erstreckt und die ich Ende 2006 vollständig veröffentlichen werde. Lediglich die Internetadresse www.frankfurtblick.de war zu Beginn der WM vorhanden, alles andere wie Webgalerie, die Webseiten des WM-Spezial, der Newsletter und die gesamte Organisation sind quasi über Nacht aus dem Boden gestampft worden. Hinzu kamen die permanenten Serverupdates bei meinem Internetprovider während der WM wegen des immens wachsenden Bedarfs an Speichervolumen für die vielen Bilder.

Eine schöne Arbeitszeit

Das „frankfurtblick :: WM-Spezial“ war eine arbeitsintensive Zeit, 4 Wochen im Dauereinsatz in einer One-man-show, die für Schlaf und Familienleben nicht viel Zeit übrig ließ. Aber es waren zugleich die intensivsten und schönsten Arbeitstage meines Lebens. Getragen von der überwältigenden Stimmung in Frankfurt - die bei weitem jede Vorstellungskraft im Vorfeld sprengte -, unterstützt und angespornt von meiner Familie und motiviert von den einmaligen Erlebnisse, die diese Stadt noch nicht erlebt hat, habe ich sämtliche Termine und Vorhaben in diesen WM-Wochen abgesagt oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Meine Kraft und volle Konzentration galt der Fotoreportage über Frankfurt, der Dokumentation einer international besetzten und daher multikulturellen Metamorphose einer Stadt.

Wie sah mein Tagesablauf aus?

Morgens aufgestanden, bearbeitete ich erst einmal meine Mails und kümmerte mich um administrative Dinge. Am späten Vormittag oder spätestens mittags begab ich mich nach Frankfurt, meistens mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da ich eine Stunde in der Bahn verbrachte, nutzte ich die Zeit zum Schreiben auf meinem immer mitgeführten Laptop oder traf die Auswahl der Fotos vom Vortag. Meine Fototouren plante ich meistens kurzfristig, manchmal spontan, und machte die Routen abhängig von der Stimmung und den Geschehnissen in der Stadt. Nur selten plante ich langfristig meine Fototouren. Getrieben von meinem Vorsatz, möglichst viel Kulissenwechsel in meinen Bildern bieten zu können, suchte ich möglichst viele Orte in Frankfurt auf, um dem Anspruch einer abwechslungsreichen Fotoserie gerecht zu werden. So besuchte ich bei einem Fußballspiel der spanischen Nationalelf das spanische Kulturzentrum Galego an der Konstablerwache, beim Spiel Portugal gegen Iran das portugiesische Kulturzentrum und begab mich beim Viertelfinale der deutschen Mannschaft gegen Argentinien mal nicht in die Mainarena, sondern dokumentierte das Fußballfieber in Bornheim entlang der Bergerstraße. Entschloss ich mich für eine Fotoroute mit entsprechenden Zwischenstationen, legte ich mir als Alternative immer einen "Plan B" zurecht, für den Fall, dass ich bestimmte Stationen nicht erreichte oder das Wetter ein Fotografieren im Freien unmöglich machte. Ich konnte mich nun mal nicht darauf verlassen, immer dann in die Maiarena zu gelangen, wenn ich mir dies vornahm und musste in solchen Situationen eine ansprechende Ausweichmöglichkeit parat haben. So geschehen bei einem Deutschlandspiel, dass ich in "Sam's Sportsbar" in Alt-Sachsenhausen verfolgte.

Wichtig war mir, den Blick auch mal nach links und rechts zu wenden und dabei auch mal das sogenannte Randgeschehen festzuhalten, das nicht mit den WM-Ereignissen in Verbindung zu stehen schien, aber dennoch eine Teil des Gesamtbildes von Frankfurt während der WM darstellte: ein Obdachloser auf der Zeil oder eine "Schnapsleiche" auf irgendeiner Wiese; aber auch spielende Kinder oder Menschen bei ihrer Mittagspause in einem Straßencafe. Der Schwerpunkt von frankfurtblick liegt generell bei Frankfurt, der Stadt mit ihren Menschen und dem Leben in ihr. So machte ich auch für das "WM-Spezial" keine Ausnahme, blendete nichts aus, was nicht in ein WM-konformes Bild passte.

Laufen ist gesund – oder?

Ich war - teilweise bis in die späten Abendstunden - in 99% meiner Touren zu Fuß unterwegs, legte täglich große Strecken per pedes zurück, was bereits nach einigen Tagen zu Schwellungen und Blasen an den Füßen führte. (Spaßeshalber rechnete ich mir nach einem intensiven WM-Tag mal aus, welche Strecke ich zu Fuß bei meiner Tagestour zurückgelegt habe und kam auf insgesamt ca. 22 Kilometer.) Ab der 2. WM-Woche legte ich dann manche Strecken mit U- oder S-Bahn zurück, weil ich sonst den Rest des Tages nicht mehr hätte bewältigen können. Ich erwähne dies hier, nicht etwa, um Mitleid zu erheischen, im Gegenteil: weil mir nach der WM erst richtig bewusst wurde, dass der Spaß und die Freude an den Ereignissen in Frankfurt so enorm groß waren, dass ich darüber meine geschundenen Füße vergessen hatte und erst am Abend oder in der Nacht am Schreibtisch sitzend spürte, was meine Füße und Beine alles geleistet haben.
Und da bin ich auch schon bei meiner zweiten Hälfte des Arbeitstages angelangt. Die Rückfahrt mit der Bahn oder - in späteren Abendstunden mit dem Taxi -, nutzte ich für das Herunterladen der Bilder von den Speicherkarten auf eine mobile Festplatte. Endlich zu Hause angekommen, ging es nach einer schöpferischen Pause mit einem leckeren Capucino auch gleich weiter: die Bilddaten von der mobilen Festplatte auf den PC aufspielen und anschließend in einem ersten Arbeitsschritt die Bilder selektieren. Dabei sortierte ich zuerst die gelungenen Fotos in einen Ordner und löschte misslungene Aufnahmen. In einem zweiten Selektionsgang wählte ich dann "veröffentlichungswürdige" Bilder aus, also von einem Motiv die besten Aufnahmen, von denen ich dann im dritten und letzten Auswahlverfahren jene Bilder bestimmte, die dann tatsächlich in der Webgalerie ihren Platz fanden. Der letzte Arbeitsschritt vor der Webgalerie-Erstellung bestand darin, die Bilder mit einer Bildbearbeitungssoftware im Turboverfahren zu optimieren. Für die Bildbearbeitung gönnte ich mir maximal 1 Minute pro Foto - eine schnelle aber effektive Arbeitsweise war hier gefragt, zu der ich mich disziplinieren musste und die ich auch strikt einhielt. Bei 100 Fotos bedeutete dies für die Bildbearbeitung bis immerhin ein Zeitaufwand von ca. 90 Minuten. Lediglich für außergewöhnliche Fotos, Bilder, die nach einer umfassenderen Aufbereitung verlangten und an denen mein Herz hing, investierte ich zusätzliche Zeit für die Optimierung. So zum Beispiel beim Bild der Brückenspringerin, das zwei Tage später in der Frankfurter Rundschau im Großformat landesweit publiziert wurde.

Nach der Bildoptimierung folgte die Erstellung der Webgalerie und anschließend die entsprechende Verlinkung auf der WM-Spezial-Übersichtsseite. Und zu guter Letzt fand meine Arbeit mit dem Aufspielen der Dateien auf den Webserver ihren krönenden Abschluss. Zwischen 3.00 und 4.00 Uhr morgens war dann alles unter Dach und Fach - ausgenommen bei technischen Pannen oder Anwendungsfehlern. Zum Einschlafen brauchte ich dann nur wenige Sekunden, kaum dass ich mich ins Bett gelegt hatte. Der Schlaf war in dieser Zeit rar, dafür aber sehr intensiv, einem Koma ähnlich, ob meiner vielen Bewegung durch die langen Fußmärsche (es war also auch ein gesunder Schlaf). Und am nächsten Tag ging dann alles von vorne los. Doch habe ich es nie als Wiederholung erlebt, nicht einen einzigen Tag verspürte ich einen Und-täglich-grüßt-das-Murmeltier-Effekt. Vielmehr war jeder Tag eine Neuentdeckung bei meiner fotografischen Reise durch Frankfurt während der WM. Einzig die zuvor angesprochene Bildbearbeitung wurde nach Tagen zu einer Routine und "verkam" in der zweiten WM-Hälfte zu einer reinen Fleiss- und Akkordarbeit.

Die Aktualität und der Wettlauf mit der Zeit

Während ich in der ersten Woche die frankfurter WM-Bilder noch vortagesaktuell ins Internet einstellen konnte, warf mich ab der zweiten Woche eine technische Panne um mindestens einen Tag zurück, was sich durch die gesamte WM-Zeit schleppte, da ich dieses Pensum durch mein straffes Tagesprogramm nicht mehr aufholen konnte. Genau genommen waren es mehrere Pannen - ein Unglück kommt selten allein -: an zwei aufeinander folgenden Tag versagte eine PC-Festplatte ihren Dienst, meine mobile Festplatte zeigte eine unergründliche Errormeldung und musste zum Umtausch eingeschickt werden (noch auf Gewährleistung) , mein Mailsystem fing zu spinnen an und erwies sich als in höchstem Maße unzuverlässig und die Elektronik meiner neu erstandenen Kamera - was war ich stolz - erstarb und konnte auch nicht wieder reanimiert werden. In diesen zwei Tagen kam dann Stress auf, der nicht mehr so positiv besetzt war ... Doch dank meiner Backup-Strategie und der schnellen und unbürokratischen Hilfe meines Fotohändlers konnte ich mein Projekt lückenlos und halbwegs unbeschadet weiter fortsetzen. Die Schadensbilanz hielt sich in Grenzen - lediglich die Hälfte der Fotos eines Tages waren verloren und befinden sich noch auf einer Festplatte, die mit einem Datenrettungsauftrag an den Hersteller geschickt wurde. Das ist zwar traurig, aber die Schadensbilanz hätte weitaus schlimmer aussehen können. Und außerdem gibt es aalglatt und ohne Komplikationen verlaufende Projekte nur in Lehrbüchern.
Der Faktor Mensch spielt bei solchen Unternehmungen wie meiner Fotoreportage nämlich auch eine entscheidende Rolle - wann sonst hätte mir wohl eine kleine Zahn-OP beschert werden können, als mitten im dicksten WM-Geschehen. Doch ich behaupte, dass die WM-Euphorie in Frankfurt und die Freude, viele schöne Momente davon in meinen Bildern festzuhalten, den Heilungsprozess meiner Zahnwunde beschleunigt und begünstigt haben. Ich hätte mich sonst kaum am Tag nach der Zahnextraktion wieder nach Frankfurt auf die Fotopiste begeben - wenn auch leicht benommen und mit einem dumpfen Taubheitsgefühl in der Backe, das mich an meinen gezogenen Zahn erinnern wollte.

Die spielfreien Tage ...

... nutzte ich zum Ausruhen und für die Ausarbeitung meiner Internetseiten. Da ich mir in den Kopf gesetzt hatte, meine WM-Reportage als Buch zu veröffentlichen, kontaktierte ich in dieser Zeit unter anderem diverse Verlage. Leider wurde nichts aus dem Buch, aber der Versuch war mir den Aufwand wert. Dafür haben sich meine Bemühungen um Pressearbeit gelohnt: während der WM-Zeit wurden insgesamt 5 Bilder von mir in drei Zeitungen veröffentlicht.

Gut ausgerüstet für die WM-Expedition

Für meine Fototouren war eine gute Ausrüstung auf allen Gebieten unerlässlich. Gesattelt mit Fotorucksack, Fototasche und Beckengurt, in dem 2 Trinkflaschen platz finden, hatte ich nach den ersten WM-Tagen den Kniff raus, was ich alles für meine Exkursionen mit mir führen musste. Ein absolutes Muss waren immer zwei Trinkflaschen, da zum einen nicht an jedem Ort meines fotografischen Wirkens Getränke verfügbar waren und zum anderen ich meistens keine Zeit hatte, mich in eine der langen Schlangen an den Getränkebuden einzureihen. Ein Nachfüllen meiner Flaschen führte ich immer in den mir selbst auferlegten Pausen abseits des frankfurter WM-Kerngeschehens durch.
Mein Digital-Voice-Recorder war mir die wichtigste Gedankenstütze. Erinnerungen, Gedankenblitze , Anekdoten, Erlebnissen und Merker (im Managerdeutsch: die Todos), ja sogar ganze Tagesabläufe hielt ich auf dem in meiner Jackentasche immer verfügbaren elektronischen Leichtgewicht fest. Egal was mir einfiel und durch den Kopf ging: kurz hineingesprochen, war es konserviert und durch die Synchronisation abends mit dem PC konnte es mir auch nicht mehr verlorengehen. Die WM-Zeit war so intensiv, dass ich an vielen Abenden nicht mehr wusste, was ich wann und wo erlebt habe. Lediglich Traum, Phantasie und Realität konnte ich noch auseinanderhalten. Oft kommentierte ich einzelne Bilder mit Referenzierung auf die Bildnummer. Dabei handelte es sich um Fotos, hinter denen sich Anekdoten verbergen oder die kleine Geschichten erzählen. Ich hätte es mir selbst nicht verziehen, wenn mir nach Tagen zu einem Bild der Hintergrund desselben nicht mehr eingefallen wäre und ich dann hätte feststellen müssen, wie nützlich doch eine Gedankenstütze oder ein Notizbuch gewesen wäre.
Mein Laptop war fast immer dabei, um in Pausen oder Ruhephasen des WM-Trubels die Zeit zum Schreiben zu nutzen.

Kein „schiesswütiger“ Fotograf

Wer glaubt, ich sei mit der S-Bahn in Frankfurt mit gezückter, aufnahmebereiter Kamera eingelaufen und habe gleich mit Betreten des Bahnsteiges einen "schiesswütigen" Fotografen abgegeben, der irrt. In den seltensten Fällen habe ich bei meinen Touren fotografisch sofort losgelegt. Ich gönnte mir immer eine Aufwärmphase, um ohne Fotoapparat in der Hand die Stadt zu erkunden und die Stimmungen aufzuspüren. Mit eigenen Augen wahrnehmen ohne dabei die Welt durch ein drittes zu sehen. [Anmerkung: Insgeheim bezeichne ich meine Kamera als "drittes Auge", da Szenen oder Motive durch sie gesehen eine mit bloßen Sinnen unnachahmliche, einzigartige Perspektive erhalten und gleichzeitig sowohl eine Nähe zu dieser Welt als auch eine Distanz schaffen, als sei man Teil einer Szene durch die bloße Beobachtung und ihr aber zugleich völlig enthoben durch die Magie des Okulars. Anders kann ich mir nicht erklären, dass sich im Riesenrad, beim Betrachten der Welt von oben durch meine Kamera, meine Höhenangst vollständig aufgelöst hat.] So kam es, dass ich manchmal erst nach 1 oder 2 Stunden meinen Fotoapparat ausgepackte. Aber dann ging es auch meistens zur Sache, habe ich mich doch oft an einem Motiv oder an einer Szene "festgebissen".

Alles menschlich

Was mein leibliches Wohl angeht, so habe ich in dieser Zeit nicht unbedingt gesund gelebt. Gemeint ist hier meine Ernährung: zu mehr als immer mal etwas Zwischendurch, eine Bratwurst, eine Brezel, ein Cheesburger, hat es meistens nicht gereicht. Teilweise mit kauenden Backen fotografierte ich das Geschehen, um bloß nichts auszulassen, immer mit dem Bewusstsein, dass jeder nicht in Bild gegossene Moment unwiederbringlich verloren ist und einzig in den Erinnerungen der Akteure noch sein Lebensecho findet.
Was ein menschliches Bedürfnisse betrifft, war der Gang zur Toilette mit Rucksack, Fototasche und Kängurubeutel immer wieder eine Herausforderung. Ohne dabei ins Detail zu gehen, überlasse ich es der Phantasie des Lesers, sich einen Fotografen mit zuvor genannter Ausrüstung bei sich und obendrein mit einem Fotoapparat in der Hand auf einem Dixi-Klo vorzustellen, wie er seinem menschlichen Bedürfnis nachgeht ... Für die Belustigung der andren Toilettenbesucher brauchte ich jedenfalls nicht mehr zu sorgen ...

Stress?

Insgesamt könnte meine Beschreibung auf dieser Seite den Eindruck erwecken, als wäre ich vier Wochen lang pausenlos durch frankfurts Strassen gehetzt und sei permanent im Dauerstress gewesen. Dem war definitiv nicht so! Auch wenn es viel Arbeit war - als Stress habe ich sie nicht empfunden, wenn man Stress in seiner Bedeutung als etwas Negatives definiert. "Positiver Stress" lasse ich für mich als Beschreibung meines Gefühlszustandes während der WM noch gelten. Es gab durchaus Zeiten, in denen ich verharrte, still beobachtete, Ereignisse oder Szenen auf mich wirken ließ. Oft bestand meine "Aufgabe" einfach nur aus Warten. Herumstehen und Warten, ob etwas geschieht, dass sich lohnt zu fotografieren. Man könnte sagen, dass die Motive, Ereignisse und Szenen, die ich mit meinen Fotos festgehalten habe, zu mir gekommen sind, und nicht ich zu ihnen. Ob ich (ausnahmsweise) jemandem oder etwas hinterher rannte und mit welchem Tempo ich meine Fototour beschritt, machte ich von der Situation abhängig. Als die Engländer und Holländer in Frankfurt waren, hatte ich selbst Schwierigkeiten, eine Pinkelpause einzulegen, so spannend und einzigartig waren die Fanaufmärsche am Römer und zeitvergessen ging ich zu Werke.

Eine kleine Ausnahme gab es in Bezug auf Stress in seiner negativen Bedeutung. Als ich an einem Tag einen Auftrag von der Presse erhielt, wurde ich etwas nervös, weil ich mich dafür entschied, meine Fotoreportage neben den für eine Zeitung zugesprochenen Bildern quasi "nebenher" im Vorbeigehen weiter zu betreiben, um die Vollständigkeit meines WM-Spezials zu gewährleisten. Denn es wäre doch jammerschade gewesen, wenn der Auftrag eine Lücke von einem Tag, ausgerechnet den mit den Holländern, in mein Fotoprojekt gerissen hätte. Als dann auch noch einige der zuvor geschilderten technischen Pannen hinzukamen, wurde aus dem Dunst der Nervosität eine Gewitterwolke von Stress, die sich aber bereits am nächsten Tag verzog und - welch ein Glück - erst gar keinen Blitz und Donner hat aufkommen lassen.

Mit Menschen reden

Wann immer ich die Möglichkeit und Gelegenheit dazu hatte, habe ich die Menschen, die ich fotografierte, um Erlaubnis nach einer Veröffentlichung ihres Fotos im Internet gefragt. Ausgenommen die Personen, die sich vor meine Kamera drängten - meistens in Siegerpose vor oder nach einem WM-Spiel - und unbedingt fotografiert werden wollten, oft gefolgt von der Frage: "In welche Zeitung komme ich denn jetzt?". Bei ihnen verstand ich ihre Extrovertiertheit als Einverständniserklärung. Ich habe den Leuten, mit denen ich es im fotografischen Sinne zu tun hatte, immer erklärt, dass ich für mein Internetprojekt frankfurtblick fotografierte und die Bilder im Internet veröffentlicht würden. Ich war dabei immer wieder erstaunt, wie sich die Menschen in Zeiten multimedialer Dimensionen so freuen können, fotografiert zu werden. Und sich dann fast noch vor Freude überschlugen, wenn ihr Bild im Internet veröffentlicht wird.
Natürlich war es mir nicht immer möglich, alle Beteiligten um Erlaubnis zu fragen. Meistens habe ich die Menschen zuerst fotografiert und anschließend um Ihr Einverständnis einer Veröffentlichung gebeten. Hätte ich die Reihenfolge meiner Vorgehensweise anders gewählt, wären ausschließlich gestellte Fotos entstanden, völlig losgelöst von einer Szene oder einem Moment, den fotografisch festzuhalten den Reiz und das Wesen eines Fotos ausgemacht hat. Ich habe nur drei Mal während der WM-Zeit eine Absage von Menschen erhalten, denen es unangenehm war, "heimlich" fotografiert worden zu sein und die nicht wollten, dass ihr Foto im Internet veröffentlicht wird. Ich habe das akzeptiert und im Beisein der Betroffenen die Fotos auf meiner Kamera gelöscht. Auf diese Weise ist mir mein persönliches Lieblingsfoto der WM "verloren" gegangen, ein einzigartiges Motiv in einer Situation, die weder nachgestellt werden kann noch ich darauf hoffen kann, sie jemals in meinem Leben wieder vorzufinden. In der bereits wegen Überfüllung geschlossenen Mainarena, inmitten der vielen Menschen, der vielen johlenden und singenden Fans, sitzt ein junger Mann im Schneidersitz auf einem Rasenstück und liest andächtig ein philosophisches Buch. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild für die Götter. Es tut mir zwar heute noch ein wenig weh, die Fotos gelöscht zu haben, doch hat für mich das Persönlichkeitsrecht einen sehr hohen Stellenwert und ich stelle es vor mein Interesse an einer Veröffentlichung. Schließlich bin ich kein Paparazzo, auch wenn mich im Vorbeigehen manche Leute scherzhaft als einen solchen bezeichneten.

Die Zahl 11.781

Und zu guter Letzt: was wäre ein Making of ohne Statistik? So darf diese der Vollständigkeit halber auch hier nicht fehlen:
Insgesamt habe ich in der Zeit vom 06.06. bis 11.07.2006 ausschließlich für die WM in Frankfurt 11.781 Fotos geschossen (nein, bei der zuvor genannten Zahl handelt es sich nicht um einen Tippfehler und ich habe auch drei Mal nachgerechnet). Die Zahl ist erschlagend, man sollte aber folgendes dazu wissen: entscheidend ist nicht die Quantität, sondern die Qualität der Bilder. Um aber ein wirklich gutes Foto „im Kasten“ zu haben, habe ich manchmal 30 Bilder und mehr von einem Motiv geschossen. Das bedeutet: die „Ausschussrate“ ist enorm hoch und die Ergiebigkeit entsprechend gering. Vielleicht hätte ein besserer Fotograf weniger Bilder für das selbe Ergebnis machen müssen – nach meiner Beobachtung verhält es sich aber bei den etablierten Pressefotografen, den „alten Hasen“ der Zunft, genauso. Auch gibt es viele Situationen, in denen die „Trefferquote“ eines brauchbaren Bildes – von einem richtig guten mal ganz abgesehen – noch geringer ist. So erging es mir mit den vorbeifahrenden Autokorsos, bei denen die Serienbildfunktion meiner Kamera gefordert war, die ca. 8 Bilder pro Sekunde erstellt. Im Durchschnitt ergab jedes dritte vorbeifahrende Auto ein „veröffentlichungswürdiges Bild“ – das entspricht ungefähr einem Verhältnis von 40 Aufnahmen zu einer gelungenen Aufnahme. Macht man sich bewusst, dass ich bis zu mehreren Stunden nach einem gewonnen Spiel der deutschen oder der italienischen Mannschaft durch die Straßen zog und meinen Fotoapparat mit einer Salve von Serienbildern traktierte, wundert es nicht, dass ich in manchen Nächten mit über 1.000 Aufnahmen nach Hause kam. Die eigentliche Arbeit bestand nicht aus der Aufnahme von knapp 12.000 Bildern, sondern vielmehr aus der Selektion, dem Herauspicken der guten Bilder. Es gab Tage, an denen sehr viel Aufnahme von mir als „gelungen“ klassifiziert wurden. An solchen hatte ich dann fast schon ein Problem, von den gelungenen die besten Fotos herauszupicken. Und bei der enorm hohen Bilderzahl sollte man noch bedenken, dass die Aufnahmen ausschließlich mit einer digitalen Spiegelreflexkamera gemacht wurden. Auf der einen Seite ist die digitale Technik ohne Zweifel ein Segen. Auf der anderen Seite verleitet es doch manchmal dazu, einfach mit der Kamera auf ein Motiv oder eine Szene „draufzuhalten“, möglichst noch mehrere Aufnahmen in unterschiedlichen Belichtungsstufen, in der Hoffnung, ja fast schon mit der Gewissheit, dass irgendeine davon gelungen sein wird. Wenn es um Schnelligkeit geht, kann eine solche Arbeitsweise sicherlich sehr praktisch sein. Ebenso bei Gruppenbildern, auf denen garantiert immer mindestens ein Mensch die Augen zu hat oder eine komische Grimasse macht, meistens natürlich unfreiwillig. Mit digitaler Technik kein Problem: da man macht einfach sicherheitshalber 10 Bilder, manchmal auch mehr, die Materialkosten bestehen einzig aus dem Verschleiss von Kamera und Speicherkarten. Dennoch war ich in den meisten Fällen versucht und habe mich regelrecht dazu erzogen, mir bei den Aufnahmen selbst schon Mühe zu geben, nicht zu knipsen, sondern zu fotografieren. Trotzdem: mit einer analogen Kamera wären niemals in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit so viele Bilder entstanden. Alleine die Filmentwicklungskosten hierfür hätten mich in den Ruin getrieben.

Von den 11.781 Fotos wurden im ersten Selektionsgang genau 4.443 von mir als „positiv“ bewertet, von denen wiederum 2.259 Bilder im zweiten Auswahlverfahren den Prädikatsstempel für die Webgalerie erhielten und eben dort ihren Platz fanden. Und dies an 24 aktiven Fototagen während der WM, was einem Durchschnitt von 487 Bildern pro Fototag entspricht, davon 185 als positiv identifiziert und von diesen wiederum 94 für die Galerie auserwählt wurden. Der Spitzentag mit der höchsten Foto-Anzahl im „WM-Spezial“ ist der Tag der WM-Eröffnung, der 09.06.2006, mit 239 veröffentlichten Bildern. An diesem Tag hätte ich am liebsten – vor lauter Euphorie und Anfangsbegeisterung – alle Bilder ins Internet gestellt. Doch habe ich mich eines Besseren besonnen, mich selbst an meinen Qualitätsanspruch erinnert und mich dadurch noch rechtzeitig bremsen können. Der Tag, an dem ich die meisten Fotos von allen WM Tagen nach Hause brachte, war der 21.06.06, der Tag mit den Holländern, als Frankfurt durch und durch in Orange versank.
Nun genug der Zahlen … vielleicht eine Sache noch: ich legte mir kurz vor der WM eine externe Festplatte mit einer Kapazität von 250 GB zu, die am Ende randvoll war – ausschließlich belegt mit Frankfurtbildern aus der WM-Zeit.

Ein kleines Geheimnis …

… mache ich – selbst in diesem Making of – aus meiner Fotoausrüstung. Ich muss schließlich nicht alles verraten und wen es wirklich interessiert, der kann mich gerne per Mail „persönlich“ danach fragen.

Unangenehme Situationen ...

… habe ich nur wenige und selten erlebt - ganz im Zeichen der friedlich verlaufenen WM in Frankfurt. Den ersten WM-Tag mit dem starken und gesangsgewaltigen Auftritt der Engländer habe ich, wenn auch keine Angst, so doch einen gewissen Respekt vor den vielen tausend Fans in der frankfurter Innenstadt gehabt und habe mich ziemlich auf Distanz zu ihnen gehalten. Wie grundsätzlich in jeder Situation, die ich nicht einschätzen kann, lasse ich mich von meinem Gefühl leiten. Doch bereits am Folgetag wurde mir klar, dass ein starker Auftritt nicht gleichzusetzen ist mit einem gewaltbereiten Auftreten. Ich habe mich mit einigen Fans unterhalten, sie waren sehr nett, und sie baten mich immer wieder, der Presse mitzuteilen, dass 99,9% der Fans friedlich seien und immer nur über die 0,1% "idiots" berichtet werde. Ich muss zugeben, dass auch ich ein negativ geprägtes Bild von den englischen Fans im Kopf hatte. Und in der Hauptsache ist es egal, ob es sich um englische, togolesische oder deutsche Fans handelt - nicht die Herkunft ist entscheidend, sondern die Frage, ob es gewaltbereite "Fußballanhänger" gibt, die das sportliche Ereignis als Anlass zur Randale nehmen, oder ob es Fans sind, die fröhlich und ausgelassen ihr Fußballfest feiern wollen und sich gegebenenfalls als gute Verlierer zeigen.
Weniger fröhlich ging es am Römer zu, als ich dort im Freien einen Eiscafe zu mir nahm, und plötzlich Flaschen und Gläser ein paar Meter von meinem Sitzplatz entfernt aufschlugen. Ich packte meine Ausrüstung, so schnell ich konnte, rannte in die Eisdiele hinein und schob auf dem Weg dorthin noch drei verängstigte Kinder mit, in einen Ort der Sicherheit. Durch diese Aktion wurden die Kinder von ihren Eltern getrennt, die nicht mehr in den Eissalon hereinkamen, weil mittlerweile der Tumult direkt vor dem Eingang stattfand. Doch die angespannte Situation klärte sich schnell dank des schnellen Eingreifens der Polizei und ich konnte die Kinder wieder zu Ihren Eltern führen. Glücklicherweise blieb dieses von Gewalt gezeichnete Ereignis das einzige, dass ich während der WM erlebte.

Was ich als sehr unangenehm empfunden habe, waren die unfreundlichen und teilweise rüden Aufforderungen von manchen, von Ihnen ein Foto zu machen. In zwei Fällen hielten mich Angetrunkene sogar am Arm fest und zerrten mich zu sich. Ich behaupte von mir, viel Geduld bei meinen Fototouren zu zeigen und bin es gewohnt, mich mit meinem Gepäck durch Menschenmassen zu bewegen. Aber ein solch rabiates Durchdringen der Biosphäre verkraftet auch der geduldigste Mensch nicht. Im einen Fall klärte ich die Situation durch heftigen verbalen Protest, sozusagen mit Abschrecken durch Erschrecken. Im zweiten Fall drohte die Situation zu eskalieren und ich bot dem Betreffenden an, mit einem einzigen Knopfdruck auf mein Handy die Angelegenheit mit der Polizei zu regeln, die binnen einer Minute mit einer Hundertschaft an Ort und Stelle wäre und gab ihm deutlich zu verstehen, dass mir so etwas in meinem langen Journalistenleben selbst im größten Kriegsgebiet noch nicht passiert sei und sogar dort die Presse einen neutralen Status genieße und nicht einmal angerührt werde. Oder, dies bot ich ihm als Alternative an, wir könnten beide unserer Wege gehen und die Sache so schnell wie möglich vergessen. Er traf eine gute Wahl und ersparte mir die Peinlichkeit eines sich in Luft auflösenden Trumpfes. Heute muss ich über meine Spontanreaktion schmunzeln, eigentlich lachen, und mir hätte fast etwas gefehlt, hätte ich dieses Erlebnis nicht gehabt. Doch eine Wiederholung dessen brauche ich nicht.

Manchmal eine Drogenparty

Eigentlich wollte ich diesem Unterkapitel nicht so viel Platz einräumen, überwogen doch für die angenehmen Momente, die freudigen und lustigen Ereignisse und das fröhliche Miteinander von Menschen aus fast allen Teilen der Erde bei weitem die weniger schönen Situationen. Doch möchte ich hier noch einen Punkt erwähnen, der mir durch die gesamte WM-Zeit unangenehm aufgestoßen ist. Besser gesagt, ich finde ihn Besorgnis erregend: der unglaublich hohe Alkoholkonsum, insbesondere bei jungen Menschen und bei auffallend vielen Frauen. Ich glaube, ich habe noch nie so viele junge betrunkene Frauen erlebt. Meine Besorgnis begründet sich nicht darin, dass es sich für das weibliche Geschlecht nicht ziemt, sich zu berauschen. Für mich gibt es da keinen Geschlechterunterschied und es geht mir nicht um ein per se festgelegtes, geschlechtsspezifisches Trinkverhalten (obwohl es dies nachweislich gibt). Nein, was mich beunruhigt, ist der wachsende Drogenkonsum - jawohl, Alkohol ist eine Droge, wenn auch eine legale und eine "gesellschaftsfähige" - und damit einhergehend die gesellschaftliche Tolerierung, wenn nicht gar Akzeptanz, von frühmorgentlicher Trunkenheit und zunehmendem Kontrollverlust. Man hätte manche WM-Veranstaltungen auch als die größte Drogenparty Deutschlands nach dem Oktoberfest bezeichnen können. Aber mit meinen Ausführungen an dieser Stelle riskiere ich, als Moralapostel abgestempelt zu werden. Dieses Thema ist wahrlich ein Kapitel für sich und möchte ich hier nicht weiter ausführen. Mich hat es jedenfalls erschreckt, am frühen Morgen volltrunkene Teenys die Straßen entlangtorkeln zu sehen oder später dann - immer noch weit vor Spielbeginn - am Boden liegend in der Lache ihres eigenen Urins.

Wie wird es weitergehen mit frankfurtblick …?

Es gäbe noch so viele Anekdoten zu erzählen, so viele Eindrücke und Erlebnisse, doch ist dieses Kapitel bereits ziemlich lang geworden, mit mehr Text versehen, als ich eigentlich vorhatte zu schreiben. Vielleicht werde ich nach und nach noch ein paar WM-Anekdoten-Kapitel verfassen, doch kommen mir da auch schon erste Zweifel, wenn ich bedenke, dass die WM 2006 gerade mal eine Woche nach dem Endspiel tiefste Vergangenheit ist und ich den Medien bereits Berichte zur nächsten Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika entnehme. Wir werden sehen, mit welcher Nachhaltigkeit meine WM-Euphorie im Rahmen dieser Fotoreportage anhalten wird.
Meine Kraft werde ich in den nächsten Wochen mit voller Konzentration wieder auf mein frankfurtblick-Projekt lenken, meiner ursprünglichen Absicht dieser Fotoreportage über Frankfurt, für dass das WM-Spezial doch lediglich ein Kapitel unter vielen bildet und eine schönes Album der Erinnerung an diese einmaligen Ereignisse in Frankfurt bleiben wird.

Wie es weitergeht mit frankfurtblick, erfahren Sie hier …