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Wie würde man die so genannten Public Viewing Bereiche ins Frankfurterische übersetzen? "Öffendlischer Gucker Nodd/Süd" oder "Kickerleinwand an de Alde Brick"? Kaum denkbar, denn das wäre vielleicht eine hessische Bezeichnung im Allgemeinen. Ein „echter“ Frankfurter teilt jedoch seine Stadt in zwei Regionen ein, die er bei der Übersetzung dieses Anglizismus in seine lokale "Mudderspraach" keineswegs auslassen würde zu erwähnen: mit den Namenszusätzen "Hibbdebach" und "Dribbdebach" würde er den Mainarenen eine eindeutige Ortskennung zuweisen. So wäre beispielsweise die Mainarena Nord mit einer Bezeichnung wie "Hibdebacher Ausguck" eindeutig als der Public Viewing Bereich auf der Frankfurter Mainuferseite klassifiziert. "Hibbde", abgeleitet vom hochdeutschen Wort "hüben", in der Addition mit "Bach", stellvertretend für den Main, bedeutet so viel wie: der vom Frankfurter Stadtkern aus betrachtete diesseitige Mainuferbereich. Dem "Hibdebacher Ausguck" würde mit der antagonistischen Begriffsbildung der "Dribbdebacher Weh-eMm Zäckus" gegenüberstehen. Besser gesagt: er würde ihm auf der anderen Mainseite gegenüberliegen, im wahrsten Sinne des Wortes, da bei dem terminologischen Zusatz "Dribbde" eindeutig und unmissverständlich der Stadtteil Sachsenhausen gekennzeichnet ist. Dribbde ist abgeleitet von "drüben" und bedeutet analog der Definition von Hibbdebach soviel wie: das jenseits vom Frankfurter Stadtkern gelegene Mainufergebiet.
Doch neben der örtlichen Beschreibung - die bei genauerer Betrachtung paradox ist, da Sachsenhausen eindeutig zu Frankfurt gehört - tragen die Begriffe "Hibbdebach" und "Dribbdebach" noch eine andere Klassifizierung in sich, mit der ein Hauch von Lokalpatriotismus mitschwingt: die Hibdebacher sind die "wahren" und die "Dribbdebacher" sind eigentlich keine echten Frankfurter. Hier verhält es sich ähnlich wie bei der ewigen Abgrenzung Frankfurt vs. Offenbach; böse Zungen behaupten sogar, Sachsenhausen sei eigentlich schon Süddeutschland, also fernab jeglichen Frankfurter Territoriums. Auch wenn es heute von den meisten Frankfurtern im Spaß gemeint ist, stellt sich mir die Frage: woher kommt eigentlich diese kommunale "Ausgrenzung" auf verbaler Ebene, die verweigerte Anerkennung Sachsenhausens als einen Stadtteil von Frankfurt? Leider konnte ich das bis heute nicht eindeutig klären. Auch die Geschichtsdaten liefern mir keine Anhaltspunkte (abgesehen von Spekulationen): Sachsenhausen erhielt seinen Namen vermutlich durch eine Zwangsansiedlung von besiegten Sachsen durch Karl den Großen (die aber historisch nicht eindeutig belegt ist und daher auch nur vermutlich stattgefunden hat). Im 12. Jahrhundert bauten staufische Reichsministerialen in Sachsenhausen ihre Höfe, die Alte Brücke wurde als Verbindung zwischen den beiden Mainuferseiten gebaut und Kirche und Hospital wurden auf Sachsenhäuser Seite errichtet (das spätere Deutschordenshaus). Im Jahre 1193 wird Sachsenhausen zum ersten Mal urkundlich erwähnt und erst im Jahre 1390 wird Sachsenhausen "offiziell" ein Stadtteil von Frankfurt durch seine Ummauerung im Rahmen der Frankfurter Befestigung. Also, an was liegt es denn nun, dass sich über 600 Jahre nach der "Eingemeindung" immer noch eine imaginäre Trennlinie zwischen der Frankfurter und der Sachsenhäuser Uferseite zieht und sich so hartnäckig gehalten hat? An der Nähe zu Offenbach kann es - zumindest nicht im Rahmen der verkehrstechnischen Infrastruktur - gelegen haben, weil knapp 40 Jahre vor der Einweihung der ersten elektrischen Straßenbahnlinie Deutschlands, von Sachsenhausen nach Offenbach im Jahre 1884, die Bahnverbindung Frankfurt-Sachsenhausen in Betrieb genommen wurde. Ich habe meine Frage an das "Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main" gerichtet und bin gespannt auf deren Antwort ... Wie auch immer, wenden wir uns nach dem kleinen Ausflug in die Frankfurter Stadtgeschichte wieder dem WM-Geschehen in Frankfurt zu.
Insgesamt gab es in Frankfurt drei so genannte Public Viewing Bereiche: die Abschnitte Mainarena Nord (Hibbdebach) und Süd (Dribbdebach), für die ein beidseitiger Großbildschirm im Main verankert wurde. Während diese beiden Abschnitte dauerhaft für das Publikum zugänglich waren, öffnete man den östlichen Uferabschnitt auf Frankfurter Seite, die "Mainarena Ost" an der Weseler Werft, nur bei Spielen mit besonders hohem Zuschaueraufkommen. Die Arena Nord war die größte der drei Mainarenen, mit insgesamt vier Sitzplatztribünen ausgestattet, wohingegen sich das Fußballvolk auf Sachsenhäuser Seite mit Stehplätzen zufrieden geben musste. Nur die so genannten VIPs kamen dort in den Genuss einer eigens für sie eingerichteten Terrasse mit bistro-ähnlichen Tischen und Stühlen - und mit einer garantiert freien Sicht auf den Großbildschirm. Die Weseler Werft bot ebenfalls nur Stehplätze und an ihrem östlichen Ende war eine zusätzliche Großleinwand errichtet, die bis zur gegenüberliegenden Mainuferseite noch ein hochwertiges Übertragungsbild lieferte. Es gab also auch die inoffiziellen Zuschauerränge außerhalb der Mainarenen: die Alte Brücke und Ignatz-Bubis-Brücke sowie die zwischen ihnen liegenden Abschnitte der Mainuferstraßen; mit Blick zum Monitor auf der Weseler Werft die Flößer Brücke und das östliche Mainufer auf Sachsenhäuser Seite. Doch dazu mehr in den Kapiteln "Zaungäste" und "Brückenbildung" ...