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Menschen > Sind alle gleich ...?

Ich war schon immer gegen den Ausspruch "Alle Menschen sind gleich!". Weil es einfach nicht stimmt und ein großer Irrtum ist. Und: wäre es nicht schlimm, wenn wir alle gleich wären? Woran würde sich das dann festmachen? Am Aussehen, an den Vorlieben und Abneigungen oder an den Wesenszügen? An was auch immer es gebunden wäre - rein hypothetisch -, die Gleichheit, es wäre nicht nur langweilig, das menschliche Leben auf Erden wäre auch schlicht und ergreifend unerträglich. Stop: haben Sie bis hierhin gelesen und sind schockiert? Und Sie fragen sich, worauf der Schreiberling eigentlich hinaus will? Keine Sorge: für mich gilt selbstverständlich der Grundsatz, der mit dem Wesen und der Bedeutung des zuvor genannten Ausspruchs gleichbedeutend ist, den ich aber für mich treffender formuliere: "Alle Menschen müssen die gleichen Rechte haben, müssen gleich behandelt werden und keiner darf in seinen Rechten, insbesondere der Grundrechte, gegenüber anderen benachteiligt werden." Oder vereinfacht in wenigen Worten frei nach Artikel 1 unseres Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar und jeder Mensch hat das Recht auf ein würdevolles Leben".
Oder bedeutet der Gleichheitsgrundsatz auch, dass in Momenten der Euphorie nach einem "gewonnenen" Spiel alle unsichtbaren, aber im Alltag dennoch spürbaren Schranken fallen - Schranken, die schon so selbstverständlich und alltäglich geworden sind, dass wir uns ihrer erst gewahr werden, wenn sie für eine kurze Zeit gehoben werden und dem, was da auch immer heraus strömt, freien Lauf lassen. Wenn auf der Straße der Arbeiter mit dem Börsianer auf Du und Du Fußballgesänge anstimmt, wenn sich der Bonvivant in seinen mit Deutschlandfähnchen geschmückten Porsche setzt, um sich damit in den Korso aus Golfs, Corsas und sonstigen Kleinwagen einreiht und mit seiner Hupe ein Instrument im Orchester der nicht enden wollenden Fußballsymphonie zu spielen. Endlich einmal spielt nicht irgendeiner die erste Geige und alle anderen tanzen im Takt der Violinklänge drum herum, sondern alle spielen sie die erste Geige und sind Tanzende zugleich. Egal, wie Du aussiehst, was Du anhast, wie alt Du bist, wie viel Du verdienst und woher Du kommst: lasse uns dies alles mal für ein paar Stunden vergessen und sei dabei, lass' es laufen, lass' Dich gehen und sei so laut, so laut Du nur kannst. Ich muss zugeben, dass mich meine eigene Interpretation von dem, was sich auf Frankfurts Straßen während der WM abgespielt hat, überrascht, ja erstaunt - sind mir doch so etwas wie ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl und Patriotismus fremd. Um noch einen Schritt weiter zu gehen: ich hielt es bisher für bedenklich und stand dem sehr skeptisch gegenüber. Das näher zu erläutern, würde an dieser Stelle zu weit führen. Nach längerem Nachdenken ist eines für mich jedoch entscheidend, was meine bisherige Skepsis gegenüber Nationalflaggen und in Deutschlandgewänder eingehüllte Fans während der WM aufweichte: ich habe es in der breiten Masse der von Freudentaumel ergriffenen nicht erlebt, dass mit der Freude über den Sieg der heimischen Nationalmannschaft oder mit dem, was manche als Stolz auf ihr Land bezeichnen, eine Herabsetzung, eine Herabwürdigung von Menschen aus anderen Ländern gleichbedeutend einherging. Im Gegenteil: einmal erlebte ich eine hässliche Szene, bei der deutsche "Fans" (und an dieser Stelle bitte die Gänsefüßchen beachten) eine kleine Gruppe von Menschen aus einem anderen Land anpöbelten. Die Leute, die das mitbekamen, wiesen die Querulanten zurecht und stellten sich schützend vor die verängstigte Gruppe. Das hat mich beeindruckt. Ich habe auch erlebt, dass türkische Familien mit ihrem Auto durch die Stadt fuhren, das sie mit der deutschen und der türkischen Fahne schmückten.

An einem Abend nach einem Spiel der deutschen Mannschaft begegnete ich auf dem Anlagenring einer Familie, die die pakistanische, die deutsche und die indische Flagge an ihrem Gefährt angebracht hatten. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hatte ich kein Byte Speicherplatz mehr frei auf meinen Speicherkarten und konnte sie leider nicht ablichten.

Alle waren eingeladen, wie sie auch aussahen und woher sie auch kamen - und keiner hat Anstoß daran genommen, wenn die Eingeladenen aus allen Teilen der Erde die Einladung annahmen, mitfeierten und dabei zeigten, woher sie kommen und wo sie leben. Im Gegenteil: es schien für mich so selbstverständlich, als hätte es so etwas schon immer in Deutschland gegeben. Wenn der so genannte Nationalstolz nicht gleichbedeutend mit der Herabwürdigung anderer Menschen einhergeht und wenn der viel beschworene Patriotismus keinen Blinden Fleck in der Gleichbehandlung erzeugt, senkt sich für mich das Barometer der Bedenklichkeit erheblich. In diesem Zusammenhang sind alle gleich, wenn sich in menschlicher Hinsicht die Gewinner nicht über die Verlierer stellen und diejenigen, deren Nationalmannschaft eine Niederlage erlitten hat, sich als gute und faire Verlierer zeigen. Mit dieser WM zeigten große Teile Deutschlands ein neues Gesicht.

Ein sympathisches und authentisches Gesicht. Hätte ich noch vor Jahren Deutschlandfahnen schwenkenden Freudentaumel als bedenkliche Nationaltümmelei betrachtet, ist meine Skepsis mit dieser WM stark geschwunden. Restlos gewichen ist sie nicht, wird sie nie sein. Nicht weil ich nicht will, sondern weil ich dieses Gefühl von Nationalstolz und Patriotismus nicht kenne. Und nicht, weil ich es besser weiß, sondern weil ich es anders kenne. Doch dazu vielleicht mehr in einem meiner zukünftigen frankfurtblick-Kapitel.

Wenn Fußballfreude bei allem sportlichen Eifer und fieberhafter Begeisterung gleichbedeutend ist mit einer freundschaftlichen Begegnung, bei der keiner über oder unter dem anderen steht, dann ist das die beste Basis für eine Fußball-WM. Und so soll eine WM sein, wie sich mir in diesem Jahr in Frankfurt gezeigt hat.

Sogar im Seniorenheim in der Seilerstraße wurde gefeiert und Fahnen wurden aus den Fenstern geschwenkt. Gesehen am 30.06., nach dem gewonnenen Viertelfinale der deutschen Mannschaft.