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Menschen ... > ... im Abseits

Neben all der überschwänglichen Freude, dem Reichtum (gemeint ist hier nicht nur der materielle) und der scheinbar sorglosen Zeit in den WM-Wochen gab es auch traurige, nachdenkliche Momente. Bilder von armen Menschen (auch hierbei wieder nicht nur auf das Materielle bezogen), die weder von einer WM profitierten noch sich an ihr erfreuen konnten. Menschen, die den Eindruck erwecken, als seien sie vergessen worden. Doch von wem? Als seien sie zu einem Fest eingeladen und man hätte vergessen, sie abzuholen - wenn sie die Einladung überhaupt erreicht hat. Oder, um es in die Fußballsprache zu übertragen: als stünden sie über die gesamte Dauer eines Fußballspiels im Abseits und könnten dadurch nicht mitspielen – physisch anwesend und doch nicht mit von der Partie.

Doch auch sie gehören zu der Großstadt Frankfurt wie jeder andere (noch) nicht Vergessene auch. Die im Abseits stehenden sind ebenso Teil der ganzen Mannschaft wie Torwart und Mittelstürmer. Die wachsende Armut in Frankfurt ist ein Thema für sich und wird in einem gesonderten frankfurtblick-Kapitel aufgegriffen. Ich möchte an dieser Stelle nicht werten, nicht moralisieren und auch nicht mahnen - und ich werde Teile von Frankfurt nicht ausblenden; Menschen und Situationen, die zum Ganzen dazugehören, auch wenn sie dabei auf meinen Fotos nicht in ein WM-konformes Bild passen. Denn schließlich mache ich keine WM-Reportage, sondern eine Reportage über Frankfurt, über das Leben und die Menschen in dieser Stadt.

Auch diese traurigen und nachdenklich stimmenden Motive sind mir begegnet, ich habe sie nicht erst suchen müssen. Das Elend begegnet mir mit jedem Besuch auf der Zeil. Und damit meine ich nicht nur das materielle, sondern auch das seelische Leid und die innere Armut vieler Menschen.
In diesem Kapitel treten die Vergessenen auf die Bühne und ich möchte sie wenigstens für einen Moment aus ihrer Abseitsposition führen.

Ihn traf ich am Mainufer, als er sich in seinem Rollstuhl in Richtung Römerberg bewegte. Er begegnete mir daraufhin jeden Tag. Anfangs wollte er nicht fotografiert werden. Soviel könne ich ihm an Gage gar nicht zahlen, sagte er, und außerdem lüge die Presse sowieso immer. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich nicht von der Presse sei und erzählte ihm von meinem Fotoprojekt. Was er denn an Gage verlange, fragte ich ihn. Hundert Euro mindestens, gab er mir prompt zur Antwort. Ich drückte ihm zwei Euro in die Hand und erklärte ihm, dass ein Hunderter entschieden zu viel sei und ich mir außerdem meine Bilder nicht erkaufen wolle, wünschte ihm noch einen schönen Tag und ging weiter. Am nächsten Tag rief er mir zu, bevor ich ihn sehen konnte. Bevor ich ihn grüßen konnte, forderte er mich zum Fotografieren auf - ich dürfe aber nur unter einer Bedingung ein Foto von ihm machen: wenn ich in meiner Reportage erwähnte, dass er von den Pfandflaschen lebe, die er tagtäglich in der Innenstadt rund um die Mainarenen einsammle. Ob es denn ein erträgliches Geschäft sei, fragte ich ihn neugierig. Naja, reich werde er nicht, aber die WM sei schon ein Segen für ihn. Da käme schon ein bisschen zusätzlich was in die Kasse. Ich drückte ihm eine frankfurtblick-Visitenkarte in die Hand, die er mir nach kurzer Betrachtung wieder zurückreichte. Er habe kein Internet, damit können er nichts anfangen. Ob er mir seine Telefonnummer geben könne, damit ich ihn informieren kann, wenn das Bild veröffentlicht würde; vielleicht könne er dann bei einem Bekannten im Internet nachschauen. Nein, das hätte alles keinen Sinn: er habe auch kein Telefon und Bekannte mit Internet habe er auch nicht. Ich machte mein Foto, bedankte mich und beide gingen wir unserer Wege. Ich begegnete ihm immer wieder mal und wir grüßten uns ...