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Wasserspiele > Badetage

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie feiern einen runden Geburtstag und laden dazu all Ihre Freunde und Bekannten ein, von denen jeder einzelne wiederum all seine Freunde und Bekannte mitbringen darf. Nehmen wir an, Sie hätten an einem Mittwoch Geburtstag und Sie wollten genau an diesem Tag ein großes Fest auf dem Römerberg feiern. Jeder nimmt sich frei für diesen Tag - für Ihren Tag -, damit die Feier bereits am Vormittag beginnen kann. Nehmen wir weiter an, der Umfang Ihres Freundes- und Bekanntenkreises betrage 50 Personen, von denen jeder einzelne wiederum 50 Leute zu dem Fest mit brächte. Es kämen also an einem Mittwoch, um 11.00 Uhr, 2.500 Leute zu Ihrem Geburtstagsfest auf den Römerberg zu Frankfurt am Main und Sie mieten dafür alle umliegenden Lokale, Restaurants, Kneipen und Eissalons an mit der erteilten Devise: schenkt jedem aus, nach was sein Herz begehrt.

 

Jeder erscheint pünktlich und bereits nach einer Stunde werden gemeinsam Lieder gesungen, manche fangen zu tanzen an und bereits um 13.00 Uhr eröffnen die ersten Gäste die innerstädtische Badesaison mit kühnen Sprüngen und wildem Planschen im Gerechtigkeitsbrunnen. Eine viertel Stunde später besteigen einige Partygäste die Justitia (man verzeihe mir die doppeldeutige Formulierung), um sie mit den mitgebrachten Fahnen ihrer jeweiligen Kommune oder Grafschaft einzukleiden. Zur gleichen Zeit packen einige Ihrer Gäste insgesamt drei Fußbälle aus und eröffnen ein Bolzturnier auf dem Römer mit himmelwärts gerichteten Schüssen, wobei jeder Hochschuss mit frenetischem Jubel von der Gästeschar kommentiert wird. Dann beginnt ein Bierregen in der Mitte des Römer, der von einer kleinen Gruppe durch freudiges Alle-Biere-fliegen-hoch-Spiel eingeleitet und von hundert anderen Besuchern in einem lawinenartigen Effekt nachgeahmt wird. Der Badetag im Gerechtigkeitsbrunnen hat sich zu einer wilden Schaumparty gewandelt, die durch literweises Einleiten des Gerstensaftes von grölenden Gästen weiter angeheizt wird. Es ist mittlerweile 14.00 Uhr und Sie kommen zu Ihrem ersten Lagebericht: umgekippte Tische und Stühle mit herumliegenden Scherben von zu Bruch gegangenen Gläsern, kapitulierende Gastronomen, die Ihre Kellner nach Hause geschickt haben und Ihren Gästen die Kneipen zur Selbstbedienung überlassen haben. Sie sind irritiert, weil alle außer Rand und Band sind aber sie kommen auch zu der Feststellung, dass Ihre Feier sehr friedlich und freudvoll verläuft. Mittlerweile stehen viele Polizeiwagen rund um den Römer und die Beamten postieren sich, dezent und zurückhaltend, am Rande des Geschehens. Auwei, werden Sie sich denken, wann werden die Polizisten diese wilde Feier unterbinden und welche Reaktionen sind von meinen - inzwischen durchschnittlich stark angetrunkenen - Gästen zu erwarten? Doch die Party geht weiter, mit gleich bleibendem Niveau und ohne an Dynamik zu verlieren - und die Polizei steht am Rande, neben vielen Frankfurter Bürgern, in beobachtender Stellung und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Sie hören einen alten Frankfurter Hasen zu seiner neben ihm stehenden Frau sagen: "Des hat die Stadt noch net gesehe. So en Gebortsdachsfest hat Frankfort noch net erlebt."

 

Als einer Ihrer Gäste auf die Idee kommt, die Spitze eines der Fahnenmaste zu erklimmen, um dort die Flagge seines Turnvereins zu hissen, schreiten plötzlich zwei Polizisten ein. Sie weisen ihn darauf hin, dass er dies nicht dürfe, weil er sich sonst ernsthaft verletzen könnte - kein Wort von "Verbot" und keine Megafondurchsage im Stile von "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei". Stattdessen hören Sie eine Begrüßungsrede aus einem Lautsprecher von einem der Mannschaftswagen: "Liebe Partygäste. Wir heißen Euch herzlich willkommen und freuen uns, dass Ihr in Frankfurt so zahlreich erschienen seid. Um weiterhin den Spaß und das schöne Fest aufrecht zu erhalten, möchten wir Euch zu Eurer eigenen Sicherheit bitten, beim Springen in den Brunnen vorsichtig zu sein und nicht die Laternenpfähle oder Fahnenmasten hochzuklettern. Vielen Dank und wir wünschen Euch noch eine schöne Geburtstagsfeier". Sie denken, Sie hätten nicht richtig gehört und wissen für einen Moment nicht, ob dieses unglaubliche Fest an Ihrem Geburtstag Wirklichkeit oder Traum ist. Ihre Gäste, die Beifall klatschend und mit freudigem Gejohle die Durchsage der Polizei quittieren, strömen zu den Polizisten, um sich für die mittlerweile eingefundenen Presseleute in Gruppenbildpose mit den Polizisten zu begeben. Unzählige Fotografen schießen Bilder von Ihren mit den Polizisten Arm in Arm stehenden Gästen. Nicht etwa, dass die Beamten stocksteif, grimmig dreinschauend und mit Widerwillen das Partyshooting über sich ergehen lassen, im Gegenteil: die Polizisten erfreuen sich bester Laune und stehen mit einer scheinbar routinierten Selbstverständlichkeit der zu Ihrer Party angereisten Weltpresse für fotografische Zwecke mit den Gästen zur Verfügung. Und Sie trauen Ihren Augen nicht, als Sie einige der Beamten im Gesicht geschminkt mit den Farben ihres heimischen Sportvereins entdecken.

 

Immer wieder werden aus allen Ecken Geburtstagslieder angestimmt, die wie ein tonales Lauffeuer um sich greifen und nach wenigen Sekunden im Gemeinschaftschor aller Gäste auf dem Römer gesungen werden. Jeder, dem sie begegnen, fällt Ihnen in die Arme und gratuliert Ihnen. Doch obgleich Ihnen das alles überschwänglich und ungewohnt vorkommt, so erscheint es Ihnen doch authentisch. Alle Gäste geben sich so, wie sie sind; und bei denjenigen, die Sie kennen, stellen Sie fest, dass sie dermaßen aus sich heraus gehen, wie Sie es noch nie zuvor erlebt haben.

 

Schließen Sie nun die Augen, gehen Sie in sich, schärfen Sie Ihre Vorstellungskraft und spulen Sie das zuvor beschriebene Szenario noch einmal in Ihrem Kopf ab. Lassen Sie sich Zeit damit. Und dann öffnen Sie Ihre Augen und fragen sich: wäre so etwas überhaupt möglich? Und ich sage Ihnen dann: zu Ihrer Feier anlässlich Ihres Geburtstages wohl kaum, wäre es unrealistisch. Aber bei einer WM wäre es nicht nur möglich, sondern es hat sich im Jahre 2006 genauso zugetragen. Sollten Sie nicht in den Genuss eines WM-Tages auf dem Römerberg mit den englischen oder holländischen Fans gekommen sein, werden Sie meinen Vergleich mit Ihrer virtuellen Geburtstagsparty für maßlos übertrieben halten und von Zweifel befallen werden. Dann sollten Sie bitte einem Bekannten, der solch einen WM-Tag auf dem Römer erlebt hat, diese Seite zu lesen geben und ihn um seine Meinung fragen. Ich versichere Ihnen, dass er Ihnen in allen Punkten volle Übereinstimmung mit seiner Wahrnehmung bescheinigt. Sollten Sie dann immer noch nicht überzeugt sein, wiederholen Sie bitte die Prozedur mit einer zweiten, dritten ... und n-ten Person. Und wenn Sie dann die letzte Hürde der Zweifelsausräumung genommen haben, dann stellen Sie sich zu gegebener Zeit einfach Ihre zuvor beschriebene fiktive Geburtstagsfeier vor und lassen Sie dabei bitte kein Detail aus. Denn erst dann können Sie mitreden, wenn ein Kollege oder sonst jemand Sie auf die Geschehnisse während der WM in Frankfurt anspricht.