Wasserspiele > Brickehibber
Der des Hessischen nicht mächtige Leser wird diese Überschrift höchstwahrscheinlich nicht verstehen. Ins Hochdeutsche übersetzt würde man "Brückenhüpfer, Brückenspringer" sagen und in den Zeitungen wurde die Brickehibberei, den englischen Akteuren dieses neuen Volkssports gerecht werdend, als "Bridge Jumping" bezeichnet. Der Begriff „Brickehibber“ gefällt mir aber besser, weil er sich mit seiner Bedeutung hervorragend in die Frankfurter Stadtgeschichte einfügt – abgesehen davon kommt einem eingefleischten Frankfurter das Wort wie ein Wohlgesang über die Lippen.
Sind die englischen Fans in Frankfurt etwa einen Pakt mit dem Teufel eingegangen, als sie ihr leibliches und seelisches Wohl aufs Spiel setzend ihre tollkühnen Sprünge von der Alte Brücke wagten? Oder wie anders soll ich die Tatsache deuten, dass sie ihre Absprungbasis ausgerechnet am Brickegickel wählten? Die „Brickehibber vorm Brickegickel“ – welch ein herrliches Wortspiel Frankfurter Mundart ... Doch welch ein Glück haben die Fans kein Loch in der Brücke hinterlassen, wie einst der Beelzebub höchst persönlich in seinem Wutanfall, als er den Hahn durch die Brücke warf.
Sie können mir nicht mehr folgen, wissen nicht mehr, wovon hier die Rede ist? Dann möchte ich mich im Folgenden um Aufklärung bemühen. Der „Brickgickel“ ist ein vergoldeter Hahn auf der Alten Brücke, der in einer kleinen Ausbuchtung auf einem Kreuz thront und eine der bekanntesten Frankfurter Sagen symbolisiert: der Baumeister der Alten Brücke ging einen Handel mit dem Teufel ein, der ihm die termingerechte Fertigstellung der Brücke versprach. Im Gegenzug verlangte der Teufel die Seele des ersten Lebewesens, das über die Brücke geht. Der Baumeister wusste, dass er damit seine Seele dem Teufel verkauft hat. Denn damals war es Brauch, dass der Baumeister einer Brücke diese als erster überquert. Als der Teufel tatsächlich in einer Nacht die Brücke fertig stellte, sah der Baumeister seinen Tod vor Augen. Doch als er an dem entscheidenden Morgen von einem Hahnenschrei geweckt wurde, kam ihm ein rettender Gedanke. Er fing den Hahn und scheuchte ihn als erstes Lebewesen über die vollendete Brücke. Der Teufel griff vor lauter Wut den Hahn und schmetterte ihn durch die Brücke, sodass ein Loch darin entstand. Noch bevor er die gesamte Brücke zerstören konnte – so wütend war er -, läuteten die Kirchenglocken und ein feierlicher Zug, angeführt durch ein getragenes Kreuz, näherte sich, um die Brücke einzuweihen. So flüchtete der Teufel und die Brücke blieb unversehrt erhalten – bis auf das Loch, das nie zugemauert werden konnte und fortan nur mit Bohlen belegt wurde. Zum Gedenken ließ der Baumeister ein Kreuz mit einem goldenen Hahn auf der Mitte der Brücke errichten.
Der Brickegickel ist erstmals im Jahre 1405 durch eine Zeichnung dokumentiert. Bereits 29 Jahre später soll er ins Wasser gefallen sein. Seine Nachfolger wurden von den Schweden im 30jährigen Krieg abgeschossen oder versanken mit der ganzen Brücke im Main. Brickegickel der Vierte entstand 1750 und kann heute im Historischen Museum besichtigt werden. Die fünfte Version wurde ca. 1992 gestohlen. Durch viele Spenden und die Stiftung einer sicheren Befestigung durch die „Freunde Frankfurts“, einem Verein zur Förderung und Erhalt des historischen Frankfurts, konnte ein neuer Brickegickel auf der Alten Brücke errichtet werden, wo er heute noch steht – und der von den nichts ahnenden Fußballfans aus England als diabolisches Sprungbrett in die Untiefen des Mains genutzt wurde. Und von dem die WM-Zuschauer auf der Brücke eine teuflisch gute Aussicht auf die Leinwand der Mainarena genossen.